Hämophilie und das Blut
Woraus besteht Blut?
Blut ist eine rote Flüssigkeit, die sich aus festen Bestandteilen (den Zellen) und flüssigen Bestandteilen (dem Plasma) zusammensetzt. Es wird vom Herzen über ein kompliziertes Röhrensystem, den Blutgefäßen, durch den Körper gepumpt.
Aufgabe des Blutes ist, die Organe mit Nährstoffen und Sauerstoff zu versorgen sowie Abfallprodukte abzutransportieren.
Zu den sich im Blut befindenden Zellen gehören:
- Rote Blutkörperchen (Erythrozyten) transportieren den Sauerstoff im Blut und enthalten eine Substanz, die das Blut rot färbt (Hämoglobin)
- Weiße Blutkörperchen (Leukozyten) gehören zum Immunsystem
- Blutplättchen (Thrombozyten) sind wichtig bei der Blutgerinnung
Im Plasma befinden sich in gelöster Form verschiedene Substanzen, wie z.B
- Eiweiße, hierzu zählen die Gerinnungsfaktoren
- Mineralstoffe
Blutgefäße mit Blutbestandteilen
Was passiert nach einer Verletzung bei einem gesunden Menschen?
Bei einer Verletzung kommt es zu einem Riss in einem Blutgefäß. Dies führt dazu, dass das darin zirkulierende flüssige Blut austritt. Um einen zu hohen Verlust an Blut zu verhindern, lässt der Körper an der verletzten Stelle das flüssige Blut erstarren, es bildet sich ein Blutgerinnsel. Der Vorgang der Blutstillung nach einer Verletzung ist lebenswichtig und wird auch als Blutgerinnung oder Hämostase bezeichnet. An der Blutgerinnung sind im Wesentlichen drei Strukturen beteiligt:
- die Wände der Blutgefäße
- die Blutplättchen (Thrombozyten)
- die Gerinnungsfaktoren
Die Aktivierung dieser drei Strukturen nach einer Verletzung führt zur Bildung eines Blutgerinnsels, das sich zusammensetzt aus:
- roten Blutkörperchen
- weißen Blutkörperchen
- Blutplättchen
- Netzwerk aus Eiweißfäden (Fibrinfäden)
Wie funktioniert die normale Blutstillung?
Die Blutstillung nach einer Verletzung lässt sich in drei Phasen einteilen. Die beiden ersten Phasen werden auch als primäre und sekundäre Hämostase bezeichnet. In der dritten Phase wird das Blutgerinnsel mit dem Einsetzen der endgültigen Wundheilung wieder abgebaut. Diese Phase wird auch als Fibrinolyse bezeichnet.
1. Phase (primäre Hämostase)
Ziel: vorläufiger Gefäßverschluss
Beteiligte Strukturen: Gefäßwand und Blutplättchen
Nach einer Verletzung eines Blutgefäßes kommt es zuerst zu einem Zusammenziehen der Gefäßwand. Dies bewirkt einen verminderten Blutdurchfluss durch das Gefäß. An die verletzte Stelle lagern sich Blutplättchen an, die Ihre Form ändern und dadurch anderen Blutplättchen ermöglichen, sich auch an diese Stelle anzulagern. Der lockere Pfropf aus Blutplättchen dichtet die verletzte Stelle im Blutgefäß vorläufig ab.
2. Phase (sekundäre Hämostase oder eigentliche Blutgerinnung)
Ziel: Verstärkung des vorläufigen Gefäßverschlusses durch Bildung von Fibrin (eigentliche Blutgerinnung)
Beteiligte Strukturen: Blutplättchen, Zellen mit Gewebefaktor aus dem Blutgefäß und Gerinnungsfaktoren
Ziel der sekundären Hämostase ist es, den lockeren Blutpfropf der während der primären Hämostase gebildet wurde, zu stabilisieren. Dies erfolgt anhand der Vernetzung der Blutplättchen mit Fibrinfäden. Blutplättchen und das Netz aus Fibrinfäden bilden dann einen festen Pfropf, der das Blutgefäß sicher verschließen kann.
Bei der Blutgerinnung kommt es über die Aktivierung der Gerinnungsfaktoren somit letztlich zur Bildung von Fibrin. Dieses wird aus Fibrinogen gebildet, einer zu den Gerinnungsfaktoren zählenden Substanz, die im Blut vorkommt.
Die sekundäre Hämostase oder Blutgerinnung ist ein kompliziertes System, bei dem sich die Gerinnungsfaktoren nacheinander gegenseitig aktivieren. Sie lässt sich in drei Abläufe untergliedern:
1. Startphase (lnitiationssphase)
2. Verstärkungsphase (Amplifikationsphase)
3. Ausbreitungsphase (Propagationsphase)
In jeder der drei Phasen spielt die Aktivierung von unterschiedlichen Gerinnungsfaktoren eine entscheidende Rolle, wobei die Aktivierung von Gerinnungsfaktor X dann in einem weiteren Schritt Thrombin aktiviert. Thrombin führt dann letztendlich zur Bildung von Fibrin, jener Substanz, mit der der Blutpfropf stabilisiert wird. Viele werden sich fragen, warum an der Blutgerinnung so viele Faktoren beteiligt sind und warum diese in solch einer komplizierten Form abläuft. Hierzu sollte man bedenken, dass ja nur dann ein Blutgerinnsel entstehen soll, wenn es auch wirklich – wie z. B. bei einer Verletzung – benötigt wird. Dadurch, dass die Blutgerinnung nicht nach einem einfachen Schema abläuft, kann der Körper sicherstellen, dass diese auch wirklich nur dann abläuft, wenn diese auch notwendig ist. Es müssen somit für alle beteiligten Strukturen klare Signale vorliegen.
3. Phase (Fibrinolyse oder Auflösung des Wundpfropfes)
Ziel: Abbau des Wundpfropfes
Beteiligte Strukturen: Eiweiß (Plasmin)
Nach der Wundheilung ist es wichtig, dass der Blutpfropf aus Fibrin und Blutplättchen wieder abgebaut wird, da sonst die Gefahr besteht, dass sich weitere Blutplättchen anlagern und das Blutgefäß verstopft. Der Abbau des Blutpfropfes erfolgt über das im Plasma vorkommende Plasmin.
Es ist wichtig, dass sowohl die Bildung des Wundpfropfes als auch dessen Abbau in einem genau geregelten Gleichgewicht ablaufen. Wird dieses Gleichgewicht gestört dann kommt es entweder zu einer verstärkten Neigung zur Bildung von Blutgerinnseln (Thromben), mit der Gefahr der Blutgefäßverstopfung (Thrombosen, Embolien), oder zu einer verstärkten Blutungsneigung wie im Falle der Hämophilie.
Was passiert mit der Blutgerinnung bei Hämophilie?
Bei einer Hämophilie wird ein Gerinnungsfaktor nicht ausreichend gebildet. Daher bleibt die primäre Hämostase, bei der nur die Gefäßwand und die Blutplättchen benötigt werden, unbeeinträchtigt.
Es kann sich deshalb nach einer Verletzung nur ein lockerer Blutpfropf bilden. Problematisch ist jedoch die Verfestigung dieses Blutpfropfes durch das Fibrin bei der sekundären Hämostase. Für einen reibungslosen Ablauf der Blutgerinnung werden alle Gerinnungsfaktoren benötigt.
Bei der Hämophilie A fehlt Faktor VIII, bei der Hämophilie B Faktor IX. Bei Betrachtung des Modells zur Blutgerinnung kann man erkennen, dass nun in der Verstärkungs- und Ausbreitungsphase diese beiden Faktoren fehlen und dadurch die Aktivierung von Faktor X entscheidend beeinträchtigt wird. Die Folge davon ist, dass sich kein stabiler Wundpfropf aus Fibrin bilden kann.
Dies ist der Grund, weshalb es bei Hämophilie-Patienten zu einer verlängerten Blutung mit abhängig vom Verletzungsgrad teilweise massiven Blutverlusten kommen kann. Zur Blutstillung muss deshalb von außen der fehlende Gerinnungsfaktor gegeben werden. Auf diese Weise kann der normale Ablauf der Blutgerinnung wiederhergestellt werden.
Quellen:
- Klinisches Wörterbuch Pschyrembl, 258. Auflage 1999, ISBN 3-11-014824-2
- „WFH Guidelines for the Management of Hemophilia, 3rd edition“, Srivastava et al, Haemophilia, 2020